Mafiöse Pferdefleischproduktion in Übersee profitiert von Mercosur-Verhandlungen
Koalition internationaler Tierschutzorganisationen
fordert Importstopp
Brüssel/Frankfurt/Zürich, 25.11.2020 – Eine internationale Koalition von Tierschutzorganisationen in der EU, Schweiz und Argentinien fordert die EU-Kommission auf, den Import von Pferdefleisch aus Ländern wie Argentinien zu stoppen. Hintergrund für die Forderung sind aktuelle Recherchen des Tierschutzbund Zürich und der deutschen Animal Welfare Foundation im Zeitraum von August 2019 bis Oktober 2020. Das Ergebnis der Recherchen offenbart eklatante Tier- und Verbraucherschutzprobleme entlang der gesamten Produktionskette von argentinischem Pferdefleisch. Dokumentiert wurden neben gravierenden Tierquälereien auch systematische Manipulation von Audits der EU-Kommission und Importeure, Betrug und Korruption auch unter Beteiligung der argentinische Gesundheitsbehörde SENASA sowie der Polizei. Die internationale Koalition von Tierschutzorganisationen fordert einen umgehenden Importstopp für Pferdefleisch aus Ländern, in denen weder Tierschutzstandards bei der Schlachtung, noch eine gesicherte Rückverfolgbarkeit der Pferde, noch eine Kontrolle der Pferdetransporte und Sammelstellen gewährleistet werden kann. Hinter der Forderung stehen europäische und südamerikanische Tierschutzorganisationen wie der Tierschutzbund Zürich (TSB Zürich, Schweiz), die Animal Welfare Foundation (AWF, Deutschland), Dier&Recht (Niederlande), GAIA (Belgien) Welfarm (Frankreich), IHP Italian Horse Protection (Italien), Fondation Franz Weber (Argentinien), CRRE Centro de Rescate y Rehabilitación Equino (Argentinien), unterstützt durch die europäische Dachorganisation Eurogroup for Animals (Brüssel).
Argentinien ist mit 10.000 Tonnen der grösste Exporteur von Pferdefleisch in die EU und die Schweiz. Gefolgt von Uruguay mit 3.500 Tonnen und Kanada mit 1.400 Tonnen. Zwischen 2012 und 2019 ist der Export argentinischen Pferdefleischs in die EU von 6.000 Tonnen auf nahezu 10.000 Tonnen angestiegen, während in Uruguay der Export gleich blieb und Kanada einen Rückgang verzeichnete. «Es ist den enormen Marketing-Anstrengungen der EU Importeure und der Ignoranz der EU-Kommission zuzuschreiben, dass Argentinien massiv zulegen konnte», stellt Sabrina Gurtner, AWF|TSB Projektleiterin, fest.
Eine ähnliche Entwicklung durchlief der Import von Pferdefleisch aus Übersee in die Schweiz. Nachdem 2013/14 alle Schweizer Supermärkte nach Veröffentlichung der TSB-Recherchen den Verkauf von Pferdefleisch aus Übersee gestoppt haben, hat sich der Import aus Argentinien von 504 Tonnen auf 272 Tonnen nahezu halbiert. Die Schweizer Importeure haben mit Hilfe des Schweizer Zertifizierungsunternehmens SGS dieser Entwicklung entgegengesteuert. 2019 importierte die Schweiz 541 Tonnen Pferdefleisch aus Argentinien, mehr als je zuvor. Abnehmer sind Restaurants und Metzgereien.
Der TSB Zürich beschreibt in seinen Berichten eine unheilige Konstellation zwischen mafiösen Familienclans, Schlachthöfen und korrupten Behörden auf argentinischer Seite und den untauglichen Versuchen der europäischen Importeure und der EU-Kommission, mit Audits die Produktionsbedingungen für Pferdefleisch zu kontrollieren. Bestätigt werden die Ergebnisse der Recherchen durch aktuelle Zeitungsberichte und EU-Auditberichte. Am vierten April 2020 berichtete die argentinische Zeitung Al Sur: «Hinter diesem lukrativen Geschäft gibt es eine Mafia, die mit den Pferdedieben beginnt, mit den Händlern weitergeht und in den Schlachthöfen endet, die bei der Annahme von gestohlenen Tieren wegschauen.» Mehrere Zeitungsberichte aus den letzten zwei Jahrzehnten berichten über kriminelle Strukturen in der Pferdefleischproduktion. «Genannt werden immer wieder die gleichen Protagonisten. Darunter sind Mitarbeiter der Polizei und der Gesundheitsbehörde SENASA, der Familienclan von Raúl Onorato, der in den Medien als grösster Pferdedieb genannt wird, und die EU-zertifizierten Schlachthöfe", kritisiert Sabrina Gurtner.
Der TSB Zürich legt der EU-Kommission seit 2014 seine Berichte vor. Seit 2010 führte die EU-Kommission wiederholt Audits in Argentinien durch. «Diese Audits sind angekündigt. Schlachthöfe und Pferdehändler haben ein System der Manipulation entwickelt, um die Auditoren zu täuschen», erläutert Sabrina Gurtner. Eine effektive Methode ist das Freiräumen der Pferche oder der Austausch kranker verletzter und schwacher Pferde durch gesunde Tiere. Im März 2020 hielt ein EU-Auditbericht fest: «Obwohl das Audit während des Besuchs einer Sammelstelle keine gravierenden Tierschutzprobleme feststellen konnte … können die zuständigen Behörden nicht garantieren, dass die geltenden EU-Standards eingehalten werden.» Im selben Auditbericht schreiben die EU-Kontrolleure, dass es offensichtlich sei, dass in der Sammelstelle die Pferde kurzfristig vor dem Audit ausgetauscht wurden.
Die Herkunft der Pferde ist nicht kontrollierbar. Die Recherchen des TSB Zürich belegen, dass neben ausgedienten Arbeitspferden auch aussortierte Stuten aus Blutfarmen, Renn- und Polopferde sowie gestohlene Pferde geschlachtet werden. «Die Abgabe von Medikamenten an Pferde wird in Argentinien nicht dokumentiert. Phenylbutazon, ein Schmerzmittel und Entzündungshemmer, wird häufig bei Sportpferden eingesetzt. Dieses Medikament darf in Europa keinem Pferd verabreicht werden, das für den menschlichen Verzehr bestimmt ist», verweist Sabrina Gurtner auf ein hohes Verbraucherrisiko. Auskunft über die Medikamentenabgabe in den letzten sechs Monaten vor der Schlachtung gibt der letzte Besitzer bzw. der Schlachthändler in einer eidesstattlichen Erklärung.
Sobald die europäischen Auditoren abgereist sind, geht die Tierquälerei ungemindert weiter. Verdeckt gefilmte Aufnahmen aus Schlachthöfen zeigen, wie nachts Pferdetransporter abgeladen werden. Verletzte und geschwächte Pferde werden mit Ketten von den Ladeflächen gezogen und bleiben im Abladebereich bis zum Schlachtbeginn liegen. Die Rechercheure entdeckten auf dem Schlachthofgelände Gruben mit verhungerten Fohlen, deren Mütter geschlachtet wurden. Sie fanden riesige Kadaverhaufen gestorbener Pferde in Sammelstellen sowie bei der Geburt gestorbene Stuten auf Weiden der Schlachthändler. «Selbst in den neu gebauten, überdachten Pferchen der Schlachthöfe finden wir schwer verletzte Pferde. Dort verbringen sie die Nacht vor der Schlachtung. Ohne eingestreute Liegeplätze und Futter, was Vorschrift wäre», berichtet Sabrina Gurtner.
Die internationale Tierschutzkoalition fordert die EU-Kommission auf, endlich zu handeln und sich nicht sehenden Auges weiter durch das kriminelle Verhalten der Pferdefleischproduzenten täuschen zu lassen. «Es scheint, dass Tier- und Verbraucherschutz den Interessen des Mercosur-Handelsabkommens geopfert werden», befürchtet Sabrina Gurtner. Die Tierschutzkoalition fordert die EU-Kommission nachdrücklich auf, kein Pferdefleisch aus Drittländern zu importieren, in denen Pferde nicht als Nahrungsmittel liefernde Tiere gelten und in denen anstelle eines zuverlässigen Rückverfolgungssystems ein System eingesetzt wird, das ausschliesslich auf Erklärungen der Pferdebesitzer und -händler vertraut. Dies kann nicht als verlässliche Grundlage für die Lebensmittelsicherheit der EU-Verbraucher angesehen werden. Die Standards für Rückverfolgbarkeit und Lebensmittelsicherheit, einschliesslich der Verwendung von Tierarzneimitteln, müssen denen entsprechen, die in der EU verbindlich sind. Darüber hinaus ist die Koalition der Ansicht, dass in naher Zukunft die Tierschutzstandards der EU nicht nur für die Schlachtung gelten sollten, sondern auch für Transporte und Sammelstellen in Drittländern.
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